Unfreiwillig offline – Mutprobe für Erwachsene

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Hilfe, ich bin offline! Bin ich jetzt für mein restliches Leben von der Welt abgeschnitten, werde ich etwa von unbekannten, fremden Mächten abgeschirmt? 

Fragen, die mir durch den Kopf gehen, während ich mich in einer Situation befinde, die seit mindestens zwanzig Jahren extrem selten vorkommt: Ich habe weder Telefon- noch Internetempfang! Da ich kein Radio und TV besitze [Wer braucht schon so etwas, wenn alles über das Netz gestreamt werden kann?!], habe ich also auch keine anderen Unterhaltungsmedien in meiner Nähe.

Schön und gut, das habe ich bereits seit mehreren Tagen überlebt, schließlich können die wichtigsten Dinge auch über das mobile Internet erledigt werden und telefonisch erreichbar ist man ja auch noch über das Handy.

Ich hätte aber nicht so dramatisch mit meiner Erzählung begonnen, wenn nicht wirklich der „Supergau“ eingetroffen wäre: Ich habe nun seit ein paar Stunden auch keinen Handyempfang mehr.

Ein Erfahrungsbericht. [Lies ihn mit einer Prise Humor]

Kein Weltuntergang – oder doch?

Würde ich nun diese Zeilen lesen, meine Augenbraue würde instinktiv nach oben wandern… Schließlich gibt es Schlimmeres als kein Telefon, Internet oder Handynetz mehr zu haben, aber wenn man sich viele Jahre daran gewöhnt hat, erreichbar zu sein und erreichen zu können, ist so „ganz ohne“ ein komisches Gefühl…

Ich kann weder die eine noch die andere Hotline wegen der Störung anrufen – wenn ich mich verabrede, muss ich mich darauf verlassen können, dass ich nicht versetzt werde.

Ob die Bahn ausgefallen ist oder ich einfach nur zu spät gekommen bin – Fragen, die ich sonst sofort meinem Handy stelle.

Ich ertappe mich sogar schon langsam bei dem Gedanken, wer mich wohl gerade in einer Notsituation brauchen könnte – ein mulmiges Gefühl, auch wenn natürlich etwas übertrieben.

Ich ertappe mich selbst

Wie eingefahren ich in meinen Verhaltensmustern bin, stelle ich spätestens dann fest, wenn ich zum zwanzigsten Mal das Handy in die Hand nehme um zu schauen, ob ich mittlerweile wieder Netz habe. Oder zum zehnten Mal zum Router laufe, um ihn neu zu starten…

Vorhin bin ich sogar schon aus der Wohnung geflüchtet; ich konnte es nicht mehr aushalten, ich fühlte mich eingesperrt, auch wenn ich nicht sagen kann wieso. Schließlich habe ich alles was ich brauche: Wasser, Strom und Heizung, abgesehen von den wirklich wichtigen Dingen.

Aber man kann ja mal raus gehen, vielleicht taucht das ein oder andere Wlan oder Handynetz zufällig wieder auf? Gedankengänge, die ich im Normalfall für mehr als absurd halten würde.

Bin ich wirklich so süchtig?

Aber so zu tun als wäre nichts, kann ich auch nicht. Es kommt mir vor, als würde mich jemand so richtig ärgern wollen, in dem er mir mal den Spiegel vorhält. Den Spiegel meiner Sucht.

Dabei bin ich niemand der ständig vor dem Handy hängt, ganz im Gegenteil, ich bin eher schlecht zu erreichen und telefoniere auch nicht gerne. Aber ich gebe es zu: Meine Arbeit im Internet macht mir Spaß, ich schreibe gerne mit meinen Kunden Emails hin und her oder gestalte Content. Webdesign, das Onlinemagazin und mein Hauptbroterwerb, das E-Commerce: Vieles passiert davon in meinem Kopf oder auf Papier – umgesetzt wird aber trotzdem alles auch digital.

Und ich gestehe ebenfalls: Mich entspannt es, in den Mediatheken nach neuen Dokus zu suchen oder bei Instagram in der bunten Welt der Fotografien abzutauchen. Das ist meine Auszeit für zwischendurch, dafür muss ich nichts aktiv machen – ein kleines Gerät und ich. Mehr brauche ich nicht um ganze Abende zu verbringen.

Ein anderes leben

Neulich erst schrieb ich den Artikel über mein Offline-Experiment: Wie schön und entspannend es war, mal ganz bewusst auf die ständige Reizüberflutung zu verzichten. Dass es bereichernd und inspirierend war…

Und auch jetzt merke ich, dass die vier Tage ohne Internet dazugeführt haben, dass ich mich auch mal mit anderen Themen und Projekten beschäftigt habe, die ich lange vor mir hergeschoben habe. Auch die Küche ist blitzsauber geputzt und der Bücherturm mit „noch zu lesenden“ Büchern schrumpft immer mehr.

Objektiv betrachtet habe ich jetzt den „besseren“ Lifestyle: Wenn ich mich entspannen möchte, schaue ich jetzt halt Löcher in die Wand, statt sonst in einen Bildschirm. Wenn ich etwas erleben möchte, schalte ich nicht den Thriller ein, sondern gehe raus, spazieren oder einen Wein trinken. Ich kann mir den Wind um die Ohren wehen lassen und dabei Menschen beobachten – eigentlich eine schönere Beschäftigung als vor dem PC zu sitzen.

Ich habe sogar schon ernsthaft überlegt, was ich denn als Kind so gemacht habe, wenn ich mal entspannen wollte. Zurück zu der Zeit ohne TV [natürlich nur mit drei Programmen, wenn die Antenne gut stand] und natürlich auch ohne Handy und Internet. 

Erzwungene Pause

Ich merke, wie es zu einer richtigen Herausforderung wird, mich mit mir selbst zu beschäftigen. Und ich merke, wie viel Raum die Technik in meinem alltäglichen Leben einnimmt. 

Natürlich wäre dies an einem anderen Ort, z.B. im Urlaub überhaupt kein Problem, aber wer Arbeiten und Wohnen so eng verbindet wie ich, der ist ständig mit der Arbeit und dieser erzwungenen Pause konfrontiert. Ich kann nicht einfach nach Hause gehen und entspannen, ich kann aber auch nicht ins Büro gehen und arbeiten.

Zum Glück bin ich mit der Situation nicht alleine: Mein Arbeits- und Lebensgefährte teilt mit mir nicht nur die Räumlichkeiten, sondern auch den Mobilfunkanbieter… Ihm geht es ganz genauso, aber er hat jetzt die Ursache für unsere missliche Situation gefunden: Der auffällig merkwürdige Tischnachbar von gestern Abend hat mit einer ferngesteuerten Hummel dafür gesorgt, dass wir heute komplett ohne Netz dasitzen.

Ich gehe jetzt raus und suche sie, Zeit genug habe ich ja.

Photo von Adria Berrocal Forcada auf Unsplash

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