Zu viel des Guten: Stress durch Achtsamkeit & Co

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Stress durch Achtsamkeit, Selbstoptimierung und anderen gehypten Strömungen: Hör‘ doch einfach mal auf dich, als auf irgendwelche Gurus!

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Wie wäre es denn hingegen, das neue Jahr so gut wie es geht zu genießen? Mit genau den Zutaten, die man für ein schönes, glückliches Jahr braucht?
Für den Einen mag das die Extraportion Sport sein, für den Anderen hingegen vielleicht die Extraportion köstliches Essen auf dem Teller?

Zu viel des Guten

Ich habe das Gefühl, dass die ganzen, gut gemeinten, Strömungen der letzten Jahre auch ziemlich negativ wirken können. Stress durch Achtsamkeit beziehungsweise dem eigenen Anspruch daran und dem Wunsch nach einem besserem, optimiertem Leben, kann genauso belasten, wie jeder andere Disstress.
Also ein negativer, belastender Stress, der unter Druck setzt und krank machen kann.

Wie, du hast heute nicht deine Dankbarkeitsübung gemacht? Und im Yoga warst du auch nicht?

Nur um Missverständnisse vorzubeugen: Es gibt schlimmeres, als eine gesunde Ernährung und Bewegung für den Körper. Beides ist sogar richtig gut! Aber wenn ich vor lauter Streben, nach einem besseren, entspannteren Leben tatsächlich gestresst bin? Wenn ich ständig reflektiere und wie eine strenge Lehrerin über alles wache, was ich den lieben langen Tag so „falsch“ mache?

Achtsamkeitsstress schon am Morgen

Nehmen wir doch mal einen ganz normalen Tag als Beispiel… Ein Tag wie jeder andere. Es fängt schon damit an, dass ich aufwache und im gleichen Moment in meinem Kopf folgende „Befehle“ aufploppen: „Los, mach‘ deine Dankbarkeitsübung“, „bloss nicht sofort auf’s Handy schauen“, „sofort raus aus dem Bett und auf die Yogamatte!“…
Dies alles sind wirklich Tätigkeiten, die ich gerne in meinen Morgen integrieren würde, aber sie fühlen sich (zumindest im Moment) nicht authentisch oder intuitiv an.
Natürlich könnte man jetzt sagen, dass so etwas auch trainiert werden kann, dass man neue Gewohnheiten erst mal über Wochen etablieren muss.

Und dies wird auch auf jeden Fall stimmen. Es sind Handlungen, die erst antrainiert werden müssen und dann auch sicherlich den Alltag bereichern.

Aber was, wenn ich das alles für einen guten Start in den Tag gar nicht brauche?

Es ist nämlich so, dass ich ein ausgesprochener Morgen-Mensch bin. Wenn ich die Augen öffne, bin ich wach und konzentriert. Ich könnte wahrscheinlich Sekunden nach dem Aufwachen bereits komplexe Fragen beantworten, besser und schneller als zu jeder anderen Tageszeit. Ich brauche das sanfte Wachwerden gar nicht, es langweilt und unterfordert mich sogar vielleicht.

Mal wieder auf sich selbst hören!

Ich finde es schön, direkt nach dem Aufwachen zu arbeiten. Setze mich gerne direkt an den PC um Mails und administrative Arbeiten zu erledigen. Eine runde Yoga oder meine Dankbarkeitsübung würden mich nur „aufhalten“ – und wieso sollte ich mich dann dazu zwingen?

Genauso verhält es sich, um bei dem Beispiel „Start in den Tag“ zu bleiben, mit dem Frühstück. Ich mag nun mal kein süßes Frühstück, auch wenn Haferflocken nach neusten Erkenntnissen der heilige Gral sind – und auch der pürierten Grünkohl in einem Smoothie hilft mir persönlich nicht zu einem motivierten, schönen Tag.
Ich stehe dazu, dass ich ein weiches Frühstücksei mit frischem Roggenbrot vorziehe. Und um beim Thema Frühstück zu bleiben: Dies kombiniere ich mit pflanzlicher Butter und einem Matcha-Latte aus Hafermilch, also eigentlich gar nicht so schlecht…

Aber genau das ist die Krux: Statt zu feiern, was man wirklich liebt und sogar noch gut für den kleinen Körper ist, wird die Messlatte immer höher gesteckt.
Dabei will ich mich nicht unter Druck setzen lassen, sondern mit meinem Tempo und Bauchgefühl leben. Manches tut mir gut, das wird in den Alltag integriert, manches nicht.

Dann ist es aber auch okay. Hauptsache es geht mir gut.

Zugegebenermaßen stresst mich vieles, von dem ich vor ein paar Monaten noch so begeistert war. Die Themen rund um Nachhaltigkeit, Achtsamkeit und ein bewussteres Leben sollen dazu führen, entspannter, vielleicht sogar glücklicher zu sein. Die Bewegungen dazu stahlen in viele Lebensbereich: Der müllfreie Alltag, die perfekte, verständnisvolle Beziehung, selbst die Ratschläge rund um Kindererziehung erleben zur Zeit wieder eine Revolution.

Aber kann es Sinn der Sache sein, dass ich zwar nicht vor Neid erblasse, wenn ich durchgestylte, luxuriöse Mädels auf einem Flamingo-Schwimmreif sehe – dafür aber bei anderen Bildern richtig neidisch werde:
Der unverpackte Einkauf, nach Hause balanciert mit dem Fahrrad und dabei noch eine Pause im märchenhaften Wald einlegen – nicht ohne eine Runde Meditation, während man dem Rascheln der Blätter lauscht.
Gerade in den sozialen Medien gibt es eine große Gruppe an scheinbar perfekten Menschen. Und richtig, damit meine ich eben nicht die reichen, aufgebrezelten Püppchen in der Traumvilla, sondern die attraktive und wahnsinnig bewusst lebende Frau Anfang dreissig.

Sie trägt faire Kleidung, kauft nur noch bio und unverpackt. Ihr Haus im Grünen hat sie minimalistisch eingerichtet und hat nur noch, was sie braucht. Genau dieses Bild führt dazu, dass ich mein eigenes Leben schmälere, dass ich ständig das Gefühl habe, dass ich noch zu wenig in meinem Leben optimiert habe.

Mal sehen wo die Reise hingeht…

Von einigen Dingen (Hallo Matcha-Latte) bin ich gar nicht so weit entfernt, aber für andere Punkte müsste ich mich zu sehr verbiegen. Wirklich schicke Kleidung à la française gibt es nun mal nicht in „fair“. Und auch so manche Delikatesse wächst leider nicht auf Bäumen.

Daher nehme ich mir für 2019 vor, mehr auf mich zu hören und weniger auf gute Ratschläge und Theorien. Ich möchte gelassener sein, mehr Vertrauen in die Welt haben und weniger müssen müssen.

Vielleicht werde ich sogar einige meiner Visionen umsetzen können, aber das braucht Zeit, wenn es wirklich authentisch – und um das geflügelte Wort nochmal einfließen zu lassen – nachhaltig geschehen soll.
Stress durch Achtsamkeit möchte ich mir nicht mehr machen, denn es ist auch okay, wenn man bei einem seichten Film besser entspannen kann, als beim Waldbaden. Und wenn die Pizza ab und zu doch besser schmeckt als das Gemüse-Quinoa.

Bestimmt nehme ich dich auf die Reise mit, wenn ich mal wieder Anregungen und neue „Hypes“ teste.

Im letzten Jahr, habe ich dabei so einige interessante Experimente gestartet… Beispielsweise die zuckerfreie Ernährung https://www.monzenzine.de/ich-teste-zuckerfrei-leben/
Oder auch das Leben ohne Internet und Handy: https://www.monzenzine.de/digital-detox-das-experiment/

Es könnte sein, dass ich tatsächlich Gefallen daran finde, gar keinen Fernseher mehr zu haben – vielleicht nervt es mich aber auch völlig, meine geliebten arte Filme auf dem kleinen Bildschirm eines Tablets zu schauen. Vielleicht gehe ich dieses Jahr wirklich mal regelmäßig in die Yogastunde, vielleicht lande ich aber auch nebenan in der charmanten Weinstube. Und beides ist richtig und gut. Punkt.

Gibt es etwas, was du dir vorgenommen hast?

Photo by Danielle MacInnes on Unsplash

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