FAQ Depression mit Dr. Janine Selle

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Wie fühlt sich eine Depression an und wieso bekommt man sowas? Wo finde ich Hilfe und an wen kann ich mich wenden?
Die wichtigsten Fragen über das Krankheitsbild der Depression habe ich Dr. Janine Selle von „Das Klemmbrett“ stellen dürfen. Herausgekommen ist ein FAQ über Depression: Erste Anzeichen erkennen, Auslöser und Tipps zur Selbsthilfe.

Gibt es Anzeichen, die ziemlich sicher für eine Depression sprechen?

Die Kernmerkmale einer depressiven Episode sind eine deutlich gedrückte Stimmung, ein Interessenverlust sowie eine Verminderung des Antriebs über einen längeren Zeitraum. Daneben gibt es jedoch eine ganze Reihe von anderen Symptomen, die mehr oder weniger auftreten können, beispielsweise Konzentrationsdefizite, Schlafschwierigkeiten oder Appetitlosigkeit. Die Symptome variieren von Person zu Person, eine Depression zeigt sich nicht immer so offensichtlich, wie man das manchmal glauben mag. Daher würde ich jedem raten, der über einen längeren Zeitraum unter Symptomen leidet oder merkt, dass Veränderungen in seiner Leistungsfähigkeit bzw. Beeinträchtigungen in seinem Alltag auftreten, diese abklären zu lassen. Wie man es aufgrund von körperlichen Symptomen auch machen würde. Es gibt Spezialisten, die dafür zuständig sind diese Symptome richtig einzuordnen, weitere Untersuchungen zu machen und zu beurteilen ob dies letztlich behandlungsbedürftig ist oder nicht. Das muss und soll man nicht alleine machen. Ich muss mich nicht mit einer fertigen Diagnose irgendwo vorstellen.

Wieso gerade ich? 

Puh. Das ist eine schwierige Frage, welche sich sicherlich oft im Rahmen einer psychischen Erkrankung gestellt wird. Die Wahrscheinlichkeit irgendwann in seinem Leben an irgendeiner psychischen Erkrankung zu leiden ist hoch, und Depressionen gehören zu den häufigsten Erkrankungen. Jedes Jahr leiden ca. 8% der Erwachsenen in Deutschland an einer Depression, was über 5 Mio. Menschen entspricht. Prinzipiell kann eine Depression jeden treffen, niemand hat eine Garantie auf psychische Gesundheit, niemand ist davor gefeit. 

Gibt es Faktoren, die eine Depression begünstigen?

Ja, die gibt es. Es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass es in der Regel nicht die eine Ursache oder den einen Auslöser für die Entstehung einer depressiven Episode gibt. Vielmehr nimmt man heute ein Biopsychosozialen Bedingungsmodell an, das heißt, dass bei der Entstehung einer Depressionen von einer Wechselwirkung von biologischen und psychosozialen Faktoren auszugehen ist.

Es gibt sogenannte Vulnerabilitätsfaktoren, Faktoren, die die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Depressionen erhöhen können. Ein erhöhtes Risiko haben z.B. Personen mit einer genetischen Vorbelastung (Depressionen bei den Elternteilen oder Geschwistern). Dies allein muss aber nicht dafür sorgen, dass auch jemand daran erkrankt. Erst im Zusammenspiel mit sogenannten auslösenden Faktoren soll das Auftreten einer Depression bedingt werden. Dies können hormonelle Umstellungen, körperliche Erkrankungen oder auch psychosoziale Faktoren (u.a. Konflikte in Beziehungen, Trennungen, Verlusterfahrungen, Überforderung am Arbeitsplatz) sein.  

Was mache ich, wenn ich mir ziemlich sicher bin, dass ich Hilfe brauche? Was ist der erste Schritt? Gehe ich zum Hausarzt und kann der mir überhaupt weiterhelfen?

Nun, ich muss mir nicht ziemlich sicher sein. Auch wenn nur ein kleiner Verdacht keimt, dass ich vielleicht Hilfe brauche oder sich der Wunsch danach zeigt, kann, darf und sollte ich erste Schritte gehen. Ein erster Schritt kann manchmal schon bedeuten, meine Gedanken, Gefühle oder Beobachtungen mit jemanden in meinem Umfeld zu teilen, mich jemanden anzuvertrauen. Dann kann man schon mindestens zu zweit überlegen, wie weiter vorzugehen ist. Ich beobachte sehr häufig, dass sobald sich jemand mit seinen Schwierigkeiten zeigt, auch das Umfeld offener bzgl. eigener Probleme gibt und man danach oft von emotionalem und organisatorischer Unterstützung profitieren kann.

Der Gang zum Hausarzt ist auf keinen Fall verkehrt. Oftmals gehen psychische Erkrankungen mit einer ganzen Reihe körperlicher Symptome einher, bspw. Magen-Darm-Probleme oder häufig auftretenden Kopf- und Rückenschmerzen. Daher kann der Hausarzt helfen, sowohl die Beschwerden zunächst ärztlich abzuklären, als auch den Zugangsweg zu Psychotherapie zu erläutern oder gegebenenfalls schon einen ersten Kontakt herzustellen.

Ich habe das Gefühl mein Umfeld oder mein Hausarzt nehmen mich nicht ernst… Was tue ich in einem solchen Fall?

Selbstverständlich kann ich mich auch direkt bei einem Psychotherapeuten zur diagnostischen Abklärung  vorstellen, hierzu dient die psychotherapeutische Sprechstunde, eine Überweisung ist nicht nötig. Man kann sich für ein Erstgespräch direkt an einen Psychotherapeuten in der Umgebung wenden, oder aber man wendet sich telefonisch an die sogenannten Terminservicestellen des jeweiligen Bundeslandes. 

In einer psychotherapeutischen Sprechstunde erfährt man, wie die jeweiligen Beschwerden einzuschätzen sind, ob beispielsweise eine Psychotherapie notwendig ist, oder die Anbindung an eine spezifische Beratungsstelle hilfreich sein kann.

Ich befürchte, dass es noch ewig dauert, bis ich den richtigen Therapeuten/Therapeutin für mich gefunden habe. Was mache ich während der Wartezeit? Hast du Tipps zur akuten Selbsthilfe?

Ach das kann so vieles und nichts sein, kommt total auf die Person und ihre Situation an. Prinzipiell würde ich sagen, so gut es geht auf eine grundlegende, gute Selbstfürsorge zu achten: genug schlafen, regelmäßig und einigermaßen ausgewogen Essen und Trinken, auf Substanzmittel weitestgehend verzichten und versuchen so viel wie eben möglich ist, an die frische Luft zu kommen und sich zu bewegen. Zudem kann es hilfreich sein, zu überlegen, was einem gut tut oder aber auch in der Vergangenheit gut getan hat. Mich zu fragen, bei wem oder was fühle ich mich wohl und dies in meinen Alltag einzubauen. Ansonsten bin ich ein großer Fan vom Schreiben, in all seinen Formen: Tagebuch schreiben, um die Gedanken aus dem Kopf zu bekommen, Listen schreiben, um Ordnung ins gefühlte Chaos zu bringen. 

Für diese ausgezeichnete Antworten, die auch Laien schnell einen guten Eindruck über das Thema verschaffen, möchte ich mich ganz herzlich bedanken. Verbunden mit einer Empfehlung: Schau‘ auf jeden Fall mal bei Janine vorbei, auch wenn du mit mentaler Gesundheit so gar nichts am Hut hast, wirst du dort viel Interessantes, zum Beispiel auch zur Selbstfürsorge finden. Ganz aktuell gibt es sogar einen AdventsCARElender*, ohne Schoki, dafür mit tollen Inspirationen für eine schöne Adventszeit.

Über Dr. Janine Selle

Ich bin approbierte Verhaltenstherapeutin und seit mehreren Jahren überwiegend im klinisch-wissenschaftlichen Bereich tätig. Privat schreibe ich auf meinem Blog* und meinem Instagram Account über wissenschaftliche psychologische Erkenntnisse und über Gedanken und Erfahrungen aus meinem Alltag als Therapeutin.
Ich möchte aufklären, entstigmatisieren und zeigen, dass die Beschäftigung mit unserer Psyche ein ganz normaler Teil unseres Alltags ist.

Foto von Sidney Sims


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