Ich teste: Digital-Detox

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Ich greife zum Handy, der Zeigefinger wandert über den Mail-Button, nichts Neues. Der Zeigefinger schwebt zum Instagram-Button, seit fünf Minuten kein neuer Post mehr. Mhhhh… Vielleicht doch noch mal die Mails checken?

Prokrastinieren ohne Internet? Für mich unmöglich… Das Internet bestimmt mein Leben viel mehr, als ich es zugeben und wahrhaben möchte. Zeit für ein kleines Selbstexperiment – Digital Detox für sieben Tage!

Freiwillig Offline

Ich gebe es zu, die Voraussetzungen waren extrem gut: Eine sogenannte „Workation“ [kommt von Work und Vacation, also ein Aufenthalt an einem schönen Ort, der auch zum Arbeiten genutzt wird] in meinem zweiten Zuhause, gepaart mit einem gewissen Überdruss bezüglich meiner Arbeit und Alltag [inkl. zu viel Internet].

Ich war also in einem gewohnten Umfeld, hatte nicht den Komfort oder Abenteuer eines Urlaubs, aber hatte den Ort gewechselt und somit den Anreiz endlich mal einen sogenannten „Digital-Detox“ zu testen.

Todesmutig beschloss ich also, dass ich für eine Woche auf Internet [und dazu zähle ich auch TV, da ich ausschließlich über Mediatheken oder Youtube streame] verzichte.

Da meine Arbeit aber zu einem großen Teil aus dem www besteht, hatte ich als Rettungsring für wichtige Anfragen und Mails natürlich noch mein Handy – allerdings nur mit extrem schlechten Internetempfang und somit völlig ungeeignet für längere Recherchen oder gar Instagram.

Somit verbannte ich also nicht die komplette digitale Welt aus meinem Leben und nutzte weiterhin mein Handy und den Laptop – allerdings ohne den selbstverständlich gewordenen, ständigen und unlimitierten Internetzugang.

Ein paar signifikante Momente und Gedanken während dieses Digital-Detox habe ich festgehalten, vielleicht inspiriert dich mein Erlebnis und du versuchst es auch mal? Ich verspreche dir eine spannende Zeit voller Selbsterkenntnis – nicht immer schön, aber ein Erlebnis wert!

Tag 1

Von der Sonne wachgekitzelt wache ich auf und genieße diesen kurzen Moment zwischen Schlaf und Wachsein, dieser Dämmerzustand von wenigen Millisekunden, den mein Hirn immer dazu nutzt, um kurz zu checken, wo und wie und was ich eigentlich bin. 

Oft führt dieser „Check“ dazu, dass ich im nächsten Augenblick hellwach bin und gestresst zum Handy greife um zu prüfen, ob die wichtige Mail, welche ich seit gestern erwarte, angekommen ist.

Manchmal führt der Check auch dazu, dass ich realisiere, was für ein toller Tag mir bevorsteht und ich deshalb ganz aufgeregt aus dem Bett springe – nicht aber bevor ich auf dem Handy nachgeschaut habe, wie das Wetter wird.

Heute fällt der Check aber mal ganz anders aus… Es ist weder ein aufregender Tag, noch habe ich einen alltäglichen Arbeitstag am Computer vor mir. Meine Auftraggeber sind informiert, dass ich mir für ein paar Tage eine Auszeit genommen habe, es gibt also auch keine wichtigen Mails, die nicht bis nach dem Aufstehen warten könnten.

Ich drehe mich also nochmal um und greife nicht zum Handy wie sonst. Aber was macht man denn so mit sich? Noch nicht ganz wach und ganz ohne sich den letzten Schlaf mit dem grellen Handybildschirm auszutreiben?

Die erste Herausforderung am frühen morgen!

Dies soll sie also sein: Meine erste Herausforderung ohne Internet, dabei bin ich noch nicht mal aufgestanden. Ich bin peinlich berührt und merke jetzt schon, dass diese Woche keine ganz einfache sein wird. Ein Ratgeber, den ich neulich gelesen hatte, empfahl eine Dankbarkeitsübung nach dem Aufwachen zu machen. Also falte ich die Hände und schließe noch mal die Augen um mir darüber bewusst zu werden, für was ich im Moment dankbar bin.

Mir tut nichts weh, ich bin an einem schönen Ort und die Sonne scheint. Fertig! Einen Instagramfeed der letzten 8 Stunden durchzuscrollen dauert länger und so ganz wach bin ich ohne die stumpfsinnige Beschäftigung mit dem Handy noch nicht.

Dafür fühle ich mich jetzt schon ganz erleuchtet und irgendwie tatsächlich dankbar.

Tag 2

Nachdem ich den Vortag nach dem Aufstehen mit sauber machen, einkaufen und „ankommen“ zugebracht habe, ist es nun schon der Abend angebrochen.

Heute habe ich endlich mal angefangen meine ganzen digitalen Ordner aufzuräumen, was so ganz ohne die Ablenkung durch die aktuellsten Nachrichten oder Facebook eine ganz schön langweilige Aufgabe ist. Normalerweise lenke ich mich bei langweiligen „Fleißaufgaben“ gerne mit einer kleinen Doku oder dem regelmäßigen Blick auf Facebook ab, erst fiel es mir schwer darauf zu verzichten und mir kam die Stille richtig aufdringlich vor. Aber nachdem ich meine neue Situation akzeptiert habe, genoss ich die Konzentration und hing meinen ganz eigenen Gedanken nach.

Ein entspannter Abend

Nun aber zurück zum Abend: Statt wie sonst das Abendessen mit normaler Geschwindigkeit zu essen, um dann gemütlich einen Film zu schauen, stelle ich mich darauf ein, den Abend heute mal anders zu füllen.

Denn ehrlich gesagt, läuft der Abend bei mir oft gleich ab: Entweder ich gehe aus und komme so spät nach Hause, dass ich direkt einschlafe. Oder – und das entspricht zu 90% meinem Alltag – ich  ziehe mich nach dem Essen zurück, um mich von einem Film berieseln zu lassen.

Heute aber werde ich alles zelebrieren, denn schließlich habe ich Zeit, sehr viel Zeit, so ganz ohne meine liebgewonnenen Abendrituale. Beim Kochen nehme ich mir besonders viel Zeit, es gibt zwar nichts Besonderes, aber wieso sollte ich die Zwiebelwürfelchen heute nicht klitzeklein schneiden? Die paar Minuten mehr habe ich allein dadurch auf dem Zeitkonto, da ich nicht viel zu lang verschiedene Rezepte [des gleichen Rezepts] im Internet vergleiche.

Stattdessen schaue ich in ein Kochbuch, entscheide mich für ein Gericht und erfreue mich daran, dass es nur ein einziges Rezept gibt.

Gute Gespräche

Ich freue mich auf das Essen und die Gespräche am Tisch. Wir unterhalten uns über dieses und jenes und kommen plötzlich auf Blumen zu sprechen. Wir sind nicht einer Meinung, ob Flieder schon im Mai oder erst im Sommer blüht. Normalerweise zücke ich in solchen Momenten das Handy und google die entsprechende Frage. Damit ist das Thema meist ganz schnell geklärt, denn Wikipedia bringt jeden Skeptiker zum Schweigen. 

Stattdessen debattieren wir erst wild, um dann eine Wette abzuschließen. Früher oder später werden wir die Frage klären können, spätestens wenn im Mai weit und breit kein Flieder zu sehen ist.

Irgendwann schaue ich auf die Uhr und gähne – wir haben tatsächlich den ganzen Abend mit Gesprächen und gutem Essen verbracht, ganz so als wäre man ausgegangen.

Tag 3

Heute Morgen habe ich wieder meine Dankbarkeitsübung gemacht, und den Griff zum Handy zu unterdrücken, fällt mir gar nicht mehr schwer. Stattdessen greife ich heute zu einem Buch, das schon ewig auf mich wartet. Ich bin so früh aufgewacht, dass ich nun Zeit habe, noch ein bisschen im Bett zu schmökern.

Normalerweise würde ich in solchen Momenten zu meinem Tablet greifen und mich anderweitig beschäftigen, vielleicht ein bisschen in den Onlineshops stöbern. Heute allerdings raffe ich mich auf und fange das Buch endlich an.

Die Arbeit

Den restlichen Tag verbringe ich wieder am Laptop, er ist nach meiner Aufräumaktion wieder viel schneller und das Arbeiten geht dadurch auch irgendwie leichter von der Hand. Meine To-Do-Liste ist schon nachmittags abgearbeitet und ich fühle mich richtig stolz.

Statt gehetzt die Arbeit auf den nächsten Tag schieben zu müssen, habe ich heute alles geschafft, was ich schaffen wollte. Ob es wohl daran liegt, dass ich nicht ständig gegoogelt habe? Ich ertappe mich, wie ich heute immer mal wieder den Impuls hatte, dieses oder jenes zu recherchieren. Anstatt wie sonst für jedes Thema mindestens fünf neue Tabs zu öffnen und diese abwechselnd zu lesen oder zu bearbeiten, musste ich mich heute auf den Kern meiner Arbeit konzentrieren.

Wenn es nicht weiter ging, nahm ich einen Schluck Tee oder schaute aus dem Fenster, statt „schnell mal was im Internet“ anzuschauen.

Tag 4

Ich merke mehr und mehr, wieviel mehr Zeit ich habe, wenn ich kein Internet nutze. Ich weiß zwar nicht, wie ich das mache, aber scheinbar verplempere ich in meiner Freizeit so viel Zeit im Internet, dass es mir nun schon am vierten Tag auffällt, dass ich am Tag viel mehr erledige, als sonst.

Die Wohnung blitzt und blinkt, der Schreibtisch ist aufgeräumt und die komplette Wäsche ist frisch gewaschen. Und das alles ist in genau der Zeit erledigt, in der ich mich sonst angeblich „entspanne“.  Statt wildfremden Menschen bei Youtube bei ihrem Alltag zuzuschauen, habe ich schnell den gesamten Wochen-Haushalt erledigt. Ich gebe zu, es ist nicht genauso entspannend, dafür macht es aber ungleich zufriedener!

Tag 5

Übrigens war es die beste Entscheidung, endlich mit dem Buch anzufangen! Obwohl ich erst vorgestern damit begonnen habe, ist dies meine neue Ersatz-Droge zum Entspannen. 

Ich genieße zwar nach wie vor die Zeit ohne Internet und gerade die Abende mit den interessanten Gesprächen, die nun viel intensiver ausfallen, sind eine echte Bereicherung, aber ich muss auch zugeben, dass ich so ganz ohne Ablenkung schlecht entspannen oder einschlafen kann. Daher freue ich mich jetzt jeden Tag in der Mittagspause und am späten Abend auf mein spannendes Buch und vermisse das übliche Fernsehen nun so gar nicht mehr.

Und ich bin mir sicher: Hätte ich nicht das Internetverbot, das Buch wäre weitere Monate im Regal liegen geblieben.

Die ersten Ergebnisse

Generell kann ich jetzt schon feststellen, dass nicht nur die Arbeit oder der Haushalt profitiert, auch meine Freizeit ist jetzt viel ausgeglichener. Heute habe ich zum Beispiel seit Monaten mal wieder eine kleine Runde Yoga gemacht. Ich war (wieder) etwas früher mit der Arbeit fertig und hatte noch keine Lust zu kochen, was ja sonst zusammen mit dem Essen meine Hauptabendbeschäftigung ist. Also beschloss ich kurzerhand ein paar Sonnengrüße zu machen, vermisste dabei aber die Anleitung, die ich normalerweise auf Youtube oder in einer App anschaue. Aber genau dies brachte mich auf eine neue Idee, welche ich vielleicht beruflich umsetzen werde.

Jetzt ist fast der ganze Tag vorbei und ich kuschele mich mit meinem Buch ins Bett. So ganz ohne  den melatoninhemmenden Bildschirm werde ich zwar sowieso nach ein paar Minuten einschlafen, aber genau das ist ja auch das Schöne!

Tag 6

Heute ist irgendwie der Wurm drin: Ich habe ein bisschen Halsweh und statt mich mit im Internet abzulenken, kann ich nur Tee trinken und warten, bis es mir besser geht. Mein Buch habe ich schon ausgelesen und auf kochen oder Yoga habe ich heute auch keine Lust.

Ich überlege das Experiment jetzt schon abzubrechen. Auf die zwei Tage kommt es ja irgendwie nicht an…Oder?

Also gut, ich halte noch durch… Aber dafür schaue ich jetzt auf dem Laptop einen Film, er ist zwar uralt und schon tausendmal gesehen, aber in Ermangelung an Alternativen, ist es besser, als an die Decke zu starren.

Der Film ist vorbei und es ist erst 19 Uhr… Wie soll ich bloß den Abend überstehen? Naja, ich mache einfach mal die Augen zu und versuche mich zu entspannen. 

Übrigens das erste Mal, dass ich tatsächlich Nichts tue – dies versuche ich nämlich zu vermeiden wie der Teufel das Weihwasser. Die Gedanken einfach schweifen zu lassen, im Bett zu liegen und ohne Ablenkung wach zu sein, fällt mir richtig schwer. 

Tag 7

Der letzte Tag des Experiments: Heute geht es mir schon viel besser.

Der gestrige Abend war die „härteste“ Erfahrung während des Experiments, aber scheinbar heilsam… Heute fühle ich mich nicht nur körperlich besser, sondern auch irgendwie ausgeglichener. Vielleicht liegt es daran, dass ich meinen Gedanken mal ausnahmsweise freien Raum gelassen habe? 

Heute werde ich diesen Artikel schreiben und alle meine Notizen integrieren. Und heute Abend wird das Internet einfach wieder angeknipst. Auch wenn ich damit nicht ganze sieben Tage geschafft habe – für die Erfahrung reicht es sicherlich.

Außerdem kommt heute Abend ein Tatort mit meinem Lieblingsteam – und darauf will ich nun wirklich nicht verzichten…

vier wochen nach dem digital-detox

In den Wochen nach dem Digital-Detox ging es mir so gut wie schon lange nicht mehr. Ich war produktiv und extrem motiviert. Natürlich resultiert dies auch vom Ortswechsel und ist sicherlich auch von diversen Faktoren geprägt, aber einige Dinge und Erkenntnisse kann ich mitnehmen:

  • Sowohl meine Arbeit als auch meine Freizeit haben von der Offline-Zeit profitiert
  • Ich war ruhiger und entspannter – sogar noch eine ganze Weile danach
  • Gute Ideen kommen nicht während man vor Bildschirmen hängt
  • Lesen oder Hörbuch/Podcast hören ist irgendwie entspannender als am Handy oder vor dem TV zu hängen
  • Freiwillig täglich mehrere Stunden vor einem Bildschirm zu hängen, ist ganz schön bescheuert
Mein ResÜmee

Viele der Erkenntnisse und Erfahrungen habe ich versucht in meine „Online-Alltag“ zu integrieren. Aber ich gebe es zu, auch wenn ich weiß, dass es „ohne“  tatsächlich erfüllender ist, die Versuchung nach leicht zu konsumierenden Medien ist oft übermächtig.

Seitdem ich vor kurzem mehrere Tage unfreiwillig offline war, habe ich erkannt, dass auch nochmal ein großer Unterschied zwischen einer bewussten Entscheidung und einem Zwang besteht. Während ich mich bei meinem freiwilligen Digital-Detox wohl gefühlt habe, konnte ich mich während meines unfreiwilligen Experiments [Totalausfall von Handy, Telefon & Internet] nicht entspannen und war wie besessen. Mehr kannst du hier lesen: Unfreiwillig offline: Mutprobe für Erwachsene

Internet gehört einfach zu unserem Leben dazu und ist ja oft auch sehr interessant, unterhaltsam oder wissenswert. Ab und zu mal bewusst abschalten oder einfach mal einen Digital-Detox-Tag einlegen, reicht aber schon um die ständige Überreizung zu verbessern.

Photo von Hannah Olinger auf Unsplash

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