Adieu! Dawanda schließt für immer

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Es fühlt sich ein bisschen an, als wäre man unsanft aus dem Nest gestoßen worden: “ Dawanda schließt“ hieß es gestern ganz plötzlich – erst in den Medien und ein paar Stunden später dann auch per Mail an alle Verkäufer…

Ich möchte noch nicht gehen

Und ebenso wie ein kleines Vögelchen, dass sich noch nicht bereit fühlt alleine zu fliegen, so fühle ich mich gerade. Dabei ist es lächerlich, immerhin bin ich seit über sechs Jahren erfolgreich als Designerin tätig, auf Dawanda bin ich schon lange nicht mehr angewiesen. Aber trotzdem fühlt sich dieser plötzliche Rausschmiss nicht gut an.

Wie alles anfing

Als ich 2012 mitten im Studium plötzlich über Selbstständigkeit und Freiheit nachzudenken, war Dawanda in aller Munde. Es war die Zeit von „DIY“ und süßen, kleinen Eulen. Eulen als selbstgenähte Kuscheltiere, Eulen als Anstecknadeln, Eulen als …
Ziemlich schnell war mir klar, dass Eulen nichts für mich sind, trotzdem wagte ich die ersten Schritte in diesem Experiment „eigenes Label“ auf Dawanda.

Schnell und einfach ließ sich der Shop einrichten, es gab viele gute Infos für Einsteiger über Rechtsthemen und allem, von dem man noch nichts ahnt, wenn man sich in’s E-Commerce stürzt. Ich surfte also wochenlang auf Dawanda, sog alle Informationen auf und bestückte parallel meinen ersten Shop.

Es klappt tatsächlich!

Ungefähr einen Monat nach dem ersten Klick auf Dawanda trudelten die ersten Bestellungen ein. Die Kunden waren und sind allesamt sehr sympathisch. Es wird sich geduzt und ganz persönlich hin- und hergeschrieben. Ein bisschen wie auf einem echten Marktplatz, kommt man mit den Kunden in’s Gespräch. Bleiben Fragen oder läuft mal etwas schief, lässt sich alles schnell und einfach über ein paar nette Zeilen regeln.

Wie ein echter Marktplatz

In all den Jahren hatte ich nie die Situation, dass ich mich mal über einen Kunden/Kundin so richtig ärgern musste. Dies liegt wohl daran, dass es sich eben nicht so anonym anfühlt wie zum Beispiel bei Amazon Handmade. Anders als bei Dawanda ist man dort den „Amazon-Habitus“ gewöhnt: Erstmal bestellen – zurückschicken kann man es ja immer noch.
Nein, bei Dawanda gab es bei vielen tausend Bestellungen, die mit den Jahren anfielen, vielleicht maximal zehn Reklamationen oder Retouren. Einen einfachen Klick „Retoure“ gibt es bei Dawanda nämlich überhaupt nicht. Passt etwas nicht, muss man sich direkt an den Verkäufer wenden und zusammen eine Lösung finden. Am Ende gibt es natürlich alle Varianten des Käuferschutzes auch hier, aber es wird den Kunden nicht allzu einfach gemacht.

Ein weiterer Schritt

Der schnelle Erfolg bei Dawanda ermutigte mich, sodass ich 2014 einen eigenen Onlineshop eröffnete. Hier finden Kunden zusätzliche Informationen und können auch einen Blick hinter die Kulissen werfen.
Auch einen etsy-Shop eröffnete ich irgendwann und hoffte auf internationale Kunden. Schnell merkte ich, dass etsy aber noch nicht in Deutschland etabliert ist. Ich habe zwar regelmäßige Käufer aus Amerika oder Europa, 99% davon nicht deutschsprachig, weshalb ich davon ausgehe, dass sich Kunden aus den DACH-Ländern vorwiegend auf Dawanda tummeln.

Hups, was ist denn hier los?

Nach vielen Jahren, in denen die Kurven bei Dawanda kontinuierlich anstiegen, gab es für meinen Shop Ende 2015 den ersten Dämpfer… Mir als Backend-Benutzer fielen einige technische Fehler auf, welche sich immer wiederholten. Scheinbar bekamen dies auch die Kunden auf der anderen Seite zu spüren: Die Bestellungen nahmen ab und ich verstand die Welt nicht mehr.
Ein Blick in die Nachrichten rückte meinen Blick wieder gerade: Amazon Handmade wurde in Deutschland auf den Markt gebracht… Konnte es sein, dass tatsächlich schon einige treue Dawanda-Kunden abwanderten?

Hallo Amazon

Ich schlief eine Nacht darüber und entschied mich dann, das relativ aufwändige Aufnahemverfahren bei Amazon Handmade zu durchlaufen. Anders als bei Dawanda wird hier nämlich im Vorfeld geprüft, ob die Shops wirklich Handgemachtes anbieten.
Ein paar Wochen später bekam ich die Zusage und kämpfte mich durch ein völlig neues System. Da Amazon eine riesige Plattform und eben nicht so eine heimelige Community ist, sieht alleine die Benutzeroberfläche ganz anders aus. Mir fehlten die knubbeligen Dawandaherzchen, das bunte Layout und die persönliche „Atmosphäre“.

Ein frischer Wind

So langsam freundete ich mich aber mit Amazon Handmade an. Der Kundenservice für Verkäufer ist wirklich bombastisch und es gibt sogar Individualisierungsoptionen für Produkte. Ein Feature, dass bei Dawanda immer gefehlt hat. Dafür ist die Möglichkeit der Artikelbeschreibung extrem eingeschränkt – es sind genau die paar wenigen Zeilen vorgesehen, die man beim normalen Amazon auch kennt. Allerdings ohne die vielen Zusatzinfos (inkl. Fotos und Grafiken), die bei der überwiegenden Anzahl der Produkten dann noch beim herunterscrollen eingesehen werden können.

Zum Glück lief Amazon Handmade wahnsinnig schnell an, sodass ich bald die fehlenden Dawanda-Bestellungen wieder ausgleichen konnte.

Ein anderes Gefühl

Hier trudeln die Bestellungen ohne vorherige Beratung und Nachrichten ein. Auch die Bestellbestätigung und manuelle Preisanpassung welche bei Dawanda die persönliche Kommunikation mit den Kunden ermöglicht, gibt es hier nicht. Auf der einen Seite eine enorme Zeitersparnis, die auf der anderen Seite aber auch dazu führt, dass Kunden manchmal wahnwitzige Sonderwünsche angeben. Diese sind mit einem Klick bestellt, ohne dass ich vorher aufklären könnte, dass nicht alles umsetzbar ist – oder mit höheren Kosten verbunden wäre.
Gibt es meinerseits dann mal Rückfragen, läuft die komplette Kommunkation über verschlüsselte Amazon-Emailadressen. Leider ist es vorauszusehen, dass Adressen à la: djow9383sw92jsow292jd32s03@amazon.com (so sieht die typische Kundenmailadresse – aber auch die des Verkäufers aus) fast immer im Spam-Ordner landen.

gebührenerhöhung um 90%

Anfang 2017 gab es dann den nächsten Knall, im Heile-Welt-Dawanda-Land: Die Gebühren wurden um 90% erhöht. Große Neuerungen und Verbesserungen wurden versprochen, die diese Erhöhung rechtfertigen sollten.
Viele Labels, so wie bei mir auch, wollten die Erhöhung nicht auf die Kunden abwälzen. Besonders Labels mit mehreren Shops wäre dies auch ungünstig, da die Preise ja einheitlich bleiben sollen.
So schluckten alle einmal und machten fleissig weiter, als wäre nichts gewesen.

Der große Knall

Nun anderthalb Jahre später mussten Dawanda-Verkäufer aus der Presse erfahren, dass das große Ende naht. Fassungslos konnte ich erst gar nicht glauben, dass eine gutlaufende Plattform, die immerhin fast 10% Provision für jede einzelne Bestellung bekommt, nicht gewinnbringend arbeiten konnte. Es gab, meiner Meinung nach, seit 2012 keine großen Veränderungen und Neuerungen im System. Zumindest nichts, was positiv oder irgendwie sonst aufgefallen wäre. Zu Weihnachten gab es mal einen Werbespot, aber sonst??

Tschüss ihr Eulen -Dawanda schliesst

Ich versuche es positiv zu sehen. Dawanda haftet nunmal das Image von Selbstgebasteltem und Hobby an, so richtig ernst genommen wird man als Designer nicht, wenn man erzählt, dass man bei Dawanda verkauft. Für mich war es das Sprungbrett und ich habe gerne auch später noch die vielen Bestellungen, die immer noch tagtäglich eintrudeln, mitgenommen.

Vielleicht ist es an der Zeit

Bist du jetzt hauptberufliche Dawanda-Frau? Verkaufst du dann auch Märkten?

Solche Sprüche muss ich mir zum Glück bald nicht mehr anhören, aber es zeigt die Wahrnehmung des Durchschnitts-Deutschen: Dawanda ist was für Selbstgehäkeltes aus dem VHS-Kurs. Und ein Blick auf die Website bestätigt leider, was böse Zungen schon lange munkeln: Das Angebot besteht aus liebevoll selbstgebastelten Produkten, einem Teil China-Billig-Massenware und einem Bruchteil professioneller Designer. Diese Mischung war auf Dauer vielleicht zu wild, zu unselektiert.

„Die Gerüchte sind leider wahr… Dawanda schließt“, so lautete die Einleitung in der Mail, die Verkäufer gestern bekamen. Zu einem Zeitpunkt, als die ersten Presseberichte schon viele Stunden veröffentlich waren. Am 30.08. ist dann endgültig Schluss. Für alle, die sich in der Zeit ein neues Standbein aufbauen müssen, ist dies ein Schlag in’s Gesicht. Für alle Verkäufer besteht die Möglichkeit zu etsy umzuziehen, ob auch der „Umzug“ der Kunden funktionieren wird, steht in den Sternen.

Schade – ich werde Dawanda vermissen.

 

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